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1

Dienstag, 18. Dezember 2007, 19:38

Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder John

Hallo Ihr Lieben,

ich hab per Zufall nach längerer Zeit mal wieder o. g. "Machwerk" gehört. Habt Ihr ne Idee, was Udo Anfang der 70er getrieben hat, dieses Lied auf Single (!!) zu veröffentlichen? Finanzielle Not? Hörigkeit gegenüber Ralph Siegel? Verlorene Wette mit Baierlein?

Aus den 50ern kennen wir ja einige qualitative "Ausraster" von Udo - aber unter Ariola (noch dazu als Single) hat es nach meiner Erinnerung außer diesem Opus keine Volkslied-Neuvertextungen gegeben...

Ich frag mich auch, warum ausgerechnet "Bruder John" den "Kopf aus der Schlinge" ziehen soll -- die "blauen Berge", von denen "wir kommen", sind doch schon Text genug..?? - oder mach ich mir da zu viele Gedanken? - Kann es vielleicht doch einen sachlichen Grund für die Scheibe geben, z. B., dass die Musik als Film-Musik verwendet worden ist...?

Gruß

Stephan

2

Dienstag, 18. Dezember 2007, 19:48

Re: Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder John

Hallo Stephan,

in der Hoch-Zeit der Westernfilmchen und des Einflusses der Amerikaner hier durfte vermutlich auch eine Verballhornung dieses Genres nicht fehlen. Verglichen mit Reinhard Mey´s "Ballade vom Pfeifer" finde ich den "Bruder John" aber tatsächlich eher etwas platt geraten:

"Grüß Gott, ich bin der Pfeifer.
Ich komm selber, wie Ihr seht,
um die Belohnung zu kassier´n,
die auf meinen Kopf steht ... "

In diesem Sinne,

Gruß,
Peter

3

Dienstag, 18. Dezember 2007, 20:15

Was Siegel mit Udo Anfang der 70er angestellt hat, war einfach nur eine Katastrophe. Bei Udo lief es damals leider nicht so gut und Siegel war erfolgreich. Also hat Udo sich ihm anvertraut. Aber um welchen Preis? Siegel mag ein erfolgreicher Komponist und Produzent gewesen sein, aber er hat Udos Stil und Klasse überhaupt nicht erkannt, geschweige denn gefördert, sondern stülpte ihm eine Art von Musik über, die zu dieser Zeit 1000 andere 0815 Schlagersänger interpretierten. Wahrscheinlich konnte Siegel auch gar nichts anderes. Das wäre ja alles nicht so schlimm gewesen, wenn er lediglich als Produzent fungiert hätte und Udo weiterhin seine eigenen Lieder hätte schreiben lassen. Aber nein, er musste ja unbedingt auch noch als Komponist in Erscheinung treten.
Besonders deutlich wird dieser Unterschied zwischen Siegel- und Udo - Kompositionen auf "Meine Lieder". So stehen auf der einen Seite "Griechischer Wein", "Ein ehrenwertes Haus", "Zigarettenrauch in meinen Augen", "Illusionen" oder "Auch in Warschau blüht jetzt schon der erste Flieder" (alles Udo - Werke), auf der anderen Seite so grauenhafte Sachen wie "Es wär schon eine Sünde wert" oder "Je älter die Geige, desto schöner ihr Klang" ( = Siegel).
Deutlicher kann man den Unterschied zwischen dem Künstler Udo und dem Macher Siegel kaum hören.
Übrigens: Siegel ist auch für einen der größten Udo-Flops ("Udo heute") verantwortlich. Über "Wilde Kirschen" oder "Dann schlug es 13" muss man auch heute noch den Mantel des Schweigens hüllen. Schlimmer geht es nicht.

Gott sei Dank war Siegel nur eine kurze Episode - sonst würde man Udo heute wahrscheinlich nicht mehr kennen.

4

Samstag, 22. Dezember 2007, 12:11

Wie kommt es, daß Siegel hier als Komponist erwähnt wird, oder hat er die "Blauen Berge" tatsächlich geschrieben?
Ganz so garstig möchte die Siegel-Sachen allerdings nicht bewerten.Vielleicht ist es nicht das Gelbe vom Ei, doch immer noch besser als das, was er für andere Künstler gemacht hat. Wenn ich z.B. nur an Nicole denke, wird mir aber ganz anders und das ist noch höflich formuliert.

5

Mittwoch, 23. Januar 2008, 09:40

Ich bin neu hier im Forum und hoffe, einige konstruktive Beiträge beisteuern zu können.
Ich sehe die Siegel-Zeit differenzierter. Udo war gewohnt, teure und aufwendige Produktionen durchführen zu können (etwa mit Alain Goraguer, Johnny Harris oder Boris Jojic). Nach der Tournee "Udo 70" und "Helden Helden" blies ihm ein ziemlicher medialer Wind entgegen, auch die Tournee 1973 war (trotz der tollen Doppel LP, die dieses Programm dokumentiert!) offenbar nicht so ein großer Erfolg wie die vorangegangenen Tourneen. Siegel - man kann darüber in einem Buch über "Dschinghis Khan" lesen - nahm Udo 1973 unter seine Fittiche, als er (so Siegel) nicht mehr so gefragt war. Damit war zumindest weiter ein hohes Produktionsniveau gewährleistet. Neben Arrangeur Ralf Nowy war etwa auch Sylvester Levay (später Musicals wie "Elisabeth") im Einsatz ("Ein ehrenwertes Haus"). Wer weiß, ob viele von (wie ich finde) Udos allerschönsten Liedern je produziert worden wären, wenn es nicht diese Kompromisse damals gegeben hätte?
Udos erster Hit der Siegel-Zeit war "Der Teufel hat den Schnaps gemacht", eine Jürgens/Kunze Nummer. Ich mag auf der LP "Es ist Zeit für die Liebe" vor allem die Lieder "Es geht auch ohne dich sehr gut" und das unsterbliche "Ein Narr sagt Dankeschön" (eines der ganz großen Udo-Lieder). Bei beiden stammen Musik und Text von Udo selbst.
"Udo heute" hat unter anderem "Heut hab ich mich in dich verliebt" oder "Denk nicht, dass ich weine" oder auch "Ein guter Stern" sowie "Komm laß mich nie mehr allein" (was für Lieder!!!) neben dem allzu radiotauglichen "Bruder John" (der damals in Wunschkonzerten etc. rauf und runter gespielt wurde) und der Michael Holm-Kuriosität "Aber heiraten wollte er nicht" zu bieten.
Auf "Meine Lieder" finde ich neben den genannten Titeln sogar die von Siegel, Udo und Kunze zusammen geschriebene Nummer "Hans und Heiner oder Jeder kriegt was er verdient" recht originell. Und der letzte Brandin-Text, der sich chronologisch in Udos Liedern findet, ist einer der ganz großen Chansontexte: "Jeder lügt so gut er kann", von Udo wunderbar sensibel vertont..
Und "Udo 75 - Ein neuer Morgen", 12 Lieder nur mehr mit Musik von Udo Jürgens, gehört für mich zu den kreativ und von den Arrangements her großartigsten Udo LPs überhaupt.
Ich sehe die Siegel-Zeit gewissermaßen als Neuanfang, aus Kompromissen heraus, zu neuer Eigenständigkeit. Inmitten seltsamer Schlagerblüten blühen Liedschätze, die zum Besten gehören, was Udo je gemacht hat (zusammen mit Siegels Arrangeuren).
Herzlicher Gruß
Alexander
Udo Jürgens: Der für mich größte lebende Entertainer - und auch der größte österreichische Komponist der Gegenwart

6

Mittwoch, 23. Januar 2008, 17:31

Hallo Alexander,

zunächst mal Respekt für Deinen "Untertitel", in dem Du Udo wunderbar charakterisierst...

Auch wenn ich Deine Ansicht, was die Siegel-Ära angeht, nicht unbedingt teile, finde ich doch bemerkenswert, welche Schätze damals produziert wurden - und sooo schade, dass sie im Verborgenen schlummern und nicht neu auf CD gebrannt werden...

Was "Zieh den Kopf..." angeht, ist mir übrigens etwas widerfahren, was aktuell auch einigen Fans passiert: Sie verstehen die Ironie nicht - erst durch Eure Hinweise bin ich darauf gekommen, dass der Song als Paradie auf den damaligen Western-Kult gemeint war - in dem Zusammenhang find ich das Lied sogar ganz witzig - der Vergleich drängt sich zum heutigen "Tanz auf dem Vulkan" auf - auch Ironie, die nicht jedermanns Sache ist, schaut man sich mal die eine oder andere "Amazon"-Kritik an;-)

Ansonsten - "willkommen im Club, Alexander";-)

Viele Grüße

Stephan

7

Mittwoch, 23. Januar 2008, 19:34

ralph siegel

Hallo Alexander,

danke für Deine quaifizierte Einschätzung der Siegel Zeit des Herrn UJ.

Um eines klar zu stellen: In 1973 war UJ keineswegs für uns Fans "weg vom Fenster". Er war aber "ganz weit weg."

Er hatte in diesem Jahr ganz klar einen Schwerpunkt und das war nunmal Japan.

Die deutsche Presse hatte dies aber kaum zur Kenntnis genommen(wie so oft in seiner Karriere) und erklärte ihn für "out". Dabei feierte er in Japan große Erfolge. Ein Fakt weshalb UJ hier von der Presse so "abgeschrieben" war - ich spreche jetzt von 1973- (man begann ja bekanntlich schon kurz nach "Helden,Helden" 1972 UJ zu boykottieren bzw. miese Kritiken zu schreiben..) war der Fakt eines der besten Livealben von UJ, nämlich dieses aus Japan 1973 in Europa nicht zu veröffentlichen, um - wie so oft- sein aktuelles Europaprodukt die LP "Europatour 73" verkaufsmäßig zu stützen. Die Presse hätte unter Umständen weitaus wohlwollender reagiert, wenn sie denn dieses Album "UJ Live in Japan 73" in Händen hätten halten können, um sich so ein aktuelles Bild über den status quo des UJ weltweit verschaffen zu können.Ich behaupte, hätte es dieses Album hier zu kaufen gegeben, hätte die Situation in Europa für Uj besser sein können. (Sicherlich hat auch Ariola es nicht haben wollen, UJ live in Japan 73 in Europa auf den Markt zu werfen. Sie standen ja in totaler Konkurrenz zu UJs Japan Firma Polydor Japan.)

So und jetzt mal ein Plädoyer für Herrn Udo Jürgens. Ich spreche hier in voller Anerkennung dessen, was damals passiert war!

Udo Jürgens brannte in der Zeit von 1969-1973 "wie ein Luster". Will sagen, der Mann hat WELTWEIT geackert , wie kaum ein anderer Musiker. Er schrieb traumhafte Kompositionen, arbeitete mit den besten Producers/Arrangers, war praktisch immer "on tour" und alles gipfelte eben in jenem besagtem Jahr 1973 in Japan.

Als UJ aus Japan zurück kam, schien er völlig erschöpft. (Aber die Jahre 69-Mitte 73 muss ihm erst mal einer nachmachen!)

Da war Siegel "zur Hand". Der feierte damals grosse Erfolge mit Rex Gildo oder Peter Alexander, Ireen Sheer etc.

Bei den ersten beiden Siegel Alben denke ich, dass Jürgens einfach nicht genügend eigenes Material zur Verfügung hatte, und deshalb auf Siegel`s schon fertige Bänder gesungen hat. Alles natürlich reine Vermutung. Fakt ist, das die UJ Kompositionen aus der Siegel Zeit wesentlich künstlerischer produziert sind, als die Siegel Kompositionen.

Das für mich gelungenste Lied der UJ/Siegel Zusammenarbeit stellt der Titel "Hans uns Heiner,oder jeder kriegt das,was er verdient dar. Ein Text ultra aktuell und eine erfrischende Komposition. Leider nie live aufgeführt.

Alexander wie schön, dass Du eines meiner UJ Lieblingsnummern nennst .Aus 1974 "Jeder lügt so gut er kann". Vom alten Brandin. (leider nie l...)Oder das so zärtliche "Heut hab ich ich in Dich verliebt". Was für ein Stück!!! UDO!UDO!UDO!

Dann "Ein guter Stern", von dem es ja auch eine japanische UJ Version gibt (verstaubt im Archiv!)

"Denk nicht, dass ich weine.." Alles Kronjuwelen.

Insofern gebe ich Dir Alexander völlig Recht. Man muss die Siegel Zeit differenziert betrachten. Auch ich habe mich manchmal zu einer "Gesamtverurteilung" dieser UJ Schaffensperiode hinreissen lassen. Das war nicht fair!

Als UJ 1975 aus dem Vertrag mit Siegel raus kam, gab es einen der allerbesten UJ Wegbegleiter: Jo Heider !Na, und über diese Zeit könnte man Bücher schreiben!

Danke nochmals für Deinen Beitrag Alexander!


Grüsse Claus

8

Sonntag, 22. Oktober 2017, 12:24

Udo erfolgreich sogar in Japan

Das ist alles spannend zu lesen und bringt einem diese schon sehr lange zurückliegende Zeit (ich würde 1978 geboren) näher. Danke dafür!

Was ich nicht verstehe: wie konnte ein europäischer, deutschsprachiger Künstler in Japan überhaupt so erfolgreich werden. Ja, es waren ein paar japanische Texte dabei, aber das meiste haben die Leute doch garnicht verstanden, oder??

Wie war der Einstieg in Japan, gab es da einen Zufall oder ging UJ gezielt dorthin?