Du bist nicht angemeldet.

  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

1

Mittwoch, 10. Juni 2015, 19:57

Liedtexter Michael Kunze

Michael Kunze ist der für den Text verantwortliche Teil des Duos, das Wien mit Werken wie “Elisabeth” auf die internationale Musicallandkarte gebracht hat. Am Mittwoch erhielt der Librettist im Rathaus das Goldene Verdienstzeichen des Landes Österreich.


Für die Begleitung sorgte sein künstlerischer Partner Sylvester Levay, der zwei Werke aus ihrem gemeinsamen Werk “Mozart!” intonierte. Eine passende musikalische Begleitung, dominiert das Musical doch die Karriere des am 9. November 1943 in Prag geborenen und in München aufgewachsenen Kunze. Schließlich griff er neben den Klassikern “Elisabeth” und “Mozart!” auch für Werke wie “Tanz der Vampire”, “Rebecca” oder “Marie Antoinette” zur Feder. Überdies erstellte er auch die deutschen Versionen zahlreicher angelsächsischer Erfolgsproduktionen wie “Cats”, “Das Phantom der Oper” oder “Der König der Löwen”.

Kunzes musikalischer Weg begann als Liedtexter und Schallplattenproduzent

Begonnen hatte der einstige Jusstudent seinen musikalischen Weg allerdings als Liedtexter und Schallplattenproduzent in den 1960ern. So stammen von ihm die Liedtexte zu Hits wie “Die kleine Kneipe” von Peter Alexander, “Ein Bett im Kornfeld” von Jürgen Drews oder zu Udo Jürgens’ “Griechischer Wein” oder “Ich war noch niemals in New York”. Auch als Autor betätigte sich der Vielschreiber und veröffentlichte etwa “Straße ins Feuer. Vom Leben und Sterben in der Zeit des Hexenwahns”.

Struppeck: “Teil der österreichischen Geschichte”

Der Musicalintendant der Vereinigten Bühnen Wien, Christian Struppeck, würdigte als Laudator laut Aussendung den Geehrten aber vor allem für seine Arbeit im Musiktheaterbereich: “Er hat einen Teil der österreichischen Geschichte in Form imposanter Musicals in die Welt hinaus getragen und damit zu einem intensiven kulturellen Austausch beigesteuert. Seine Texte treffen mitten ins Herz – denn wie kaum ein anderer vermag er mit der Kraft seiner Worte die Menschen zu berühren.”

Michael Kunze erfreut über das Goldene Verdienstzeichen des Landes




Kunze selbst zeigte sich über seine Auszeichnung erfreut, was auch für seine altösterreichische Familie gegolten hätte, unterstrich er in seiner Dankesrede. Wien sei ein Standort, in dem man den Mut bewiesen habe, unterschiedlichste Musicalstoffe auf die Bühne zu bringen. Und für dieses Risiko sei man auch zu Recht mit weltweitem Erfolg belohnt worden.


Quelle: vienna.at

  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

2

Sonntag, 1. November 2015, 19:11

Beim Hamburger Abendblatt erschien folgender ausführliche Bericht über Liedtexter Michael Kunze:



Michael Kunze: Dieser Mann ist Gold wert

Von "Ein Bett im Kornfeld" bis "Ich war noch niemals in New York": Der Hamburger Musiktexter gewann mit seinen Hits 79 Auszeichnungen.

Was man so denkt, wenn man in einen Keller eingeladen wird: Hmm, wird bestimmt düster. Warm anziehen wegen der feuchten Kälte. Ob dort die Konserven lagern? Oder alte Instrumente? Hoffentlich gibt es wenigstens ein paar kleine Fenster ...

Nein, gibt es nicht. Aber mit jeder Stufe abwärts wird es lichter. Und dann: Blitz! Trifft einen der Glanz mit voller Wucht. Dies muss der hellste Keller der Welt sein. Ach was, Keller, eine Schatztruhe ist das hier! Die Wände bestehen aus purem, rundem Gold. Es sind Michael Kunzes Auszeichnungen. Für "Griechischer Wein", für "Ich war noch niemals in New York", für "Ein Bett im Kornfeld", für "Die kleine Kneipe", für "Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein", für "Lady Bump", für "Fly, Robin, fly" und so weiter. 300 Hits hat der Liedertexter in seiner Karriere geschrieben, 79 Gold- und Platinschallplatten dafür erhalten. Sie hängen hübsch über- und nebeneinander im Keller seiner Villa.

Ein lateinisches Sprichwort sagt: "Wenn das Gold redet, dann schweigt die Welt." Also ist man erst mal sprachlos. "Meine kleine Sammlung", sagt Kunze. Der erfolgreichste deutsche Musiktexter neigt zu Untertreibungen. Er versteckt die Beweise seiner außergewöhnlichen Karriere unter Tage. Wissen seine Nachbarn in Poppenbüttel eigentlich, wer da neben ihnen wohnt? "Nein, das müssen sie auch nicht. Die wissen, das ist der Mann, der immer mit dem netten Hund spazieren geht." Der nette Hund heißt Aska, Hovawart, zwölf Jahre alt. Sein Herrchen ist 60 Jahre älter, wirkt aber jünger. Coole Carhartt-Hose, Streifen-Hemd, beständiges Lächeln. Ein echter Goldjunge bleibt stets unberührt von seinem Geburtsjahr. Und er weiß, dass Gold mehr bedeutet als Geld. Es ist eine Kostbarkeit mit einem inneren Wert. Am Ringfinger sagt Gold: "Jemand liebt dich". Als Krone auf dem Kopf sagt es: "Der Mensch unter mir hat Macht". Im Keller von Michael Kunze sagt es: "Dieser Typ kann es, aber so richtig!"

In einem Club entdeckte er Peter Maffay – ihr erster Song wurde gleich ein Hit

Wer also ist dieser unbekannte Star? Auf jeden Fall ein Kluger. War er schon als Kind. Das beste Abitur in seiner Jahrgangsstufe in München, Schnitt 1,0. "Ich musste meinen Mitschülern zeigen, dass ich nicht so blöd bin, wie sie denken", sagt Kunze und lacht. Der Sohn eines Journalisten und einer Schauspielerin war erst mit 14 nach München gezogen, und die Bayern machen es Neuankömmlingen nicht immer leicht. Aber jemanden wie Kunze schüchtert das nicht ein, im Gegenteil. Der Beste von allen kann zwischen zwei Stipendien wählen, entschied sich für Jura und zog es auch durch. Doch: "Ich wäre nie ein guter Jurist geworden, dafür habe ich zu viel Fantasie." Außerdem gab es da ja diese Musik. Rock 'n' Roll. "Wie ein Schlag" hatte es Kunze getroffen, als er das erste Mal im Radio ein Lied von Elvis Presley hörte. Bis dahin waren nur Swing oder Operetten über den Sender gedudelt, Rock 'n' Roll veränderte sein ganzes Lebensgefühl. Endlich hatte die Rebellion einen Klang. "Das war eine musikalische Revolution, die es seitdem nicht mehr gegeben hat. Im Grunde stellt Hip Hop auch nur eine Erweiterung des Rock 'n' Roll dar," sagt Kunze.

Anstatt sich juristischen Paragrafen zu widmen, schreibt Kunze lieber Songs, doch er hat kein Geld, um sie in einem Studio aufnehmen zu können. Schließlich findet er eine Plattenfirma, die ihm einen Deal vorschlägt: Wenn du einen vielversprechenden Sänger findest, dann darfst du Demoaufnahmen mit ihm auf unsere Kosten machen. Also ziehen Kunze und seine Frau Roswitha durch die Münchner Kneipen, um einen neuen Star zu finden. Roswitha wird ab dann und in Zukunft noch eine große Rolle für seine Karriere spielen. Zum ersten Mal gesehen haben sich die beiden im Schulbus. Kunze traute sich jedoch nie, sie anzusprechen: "Es musste erst Kennedy sterben, bis wir ein Wort wechselten." Roswitha fragte ihn am Tag nach dem Attentat: "Bist du immer so fleißig?" Kunze war der einzige im Bus, der in seinem Buch las, während alle anderen aufgeregt über Kennedy diskutierten. Ja, Kunze war und ist immer so fleißig, aber Roswitha scheint das zu gefallen. Inzwischen ist sie seit 46 Jahren mit dem schüchternen Jungen verheiratet.

Damals in München jedenfalls teilt sich das Paar auf, um mehrere Live-Konzerte – die es damals massenhaft gab – in einer Nacht besuchen zu können. Eines Abends im Jahr 1969 steht Roswitha in einem Club namens Danny's Pan vor einem jungen Kerl namens Peter Maffay. Er singt nur im Hintergrund, aber Kunzes Frau weiß sofort: Das ist der Sänger, nach dem wir suchen. Sie holt ihren Mann dazu, doch der traut sich nicht, Maffay anzusprechen, Roswitha macht wieder den ersten Schritt. Der 19-jährige Maffay sagt zu und singt Michael Kunzes "Du" ein. Bamm! Superhit. Platz eins der deutschen Hitparade. Eine Million verkaufte Platten. Gold, Gold, Gold. Michael Kunze ist 25 Jahre alt. "Genießen konnte ich den Erfolg damals noch nicht. Denn es bedeutet Druck für die Zukunft. Man kann den Erfolg nur wiederholen oder versagen – und normalerweise versagt man."

Die Ideen für seine Texte recherchiert er im Alltag

Kunze ist aber alles andere als normalerweise. Er macht weiter, sehr gut weiter. Arbeitet mit Stars wie Peter Alexander, Nana Mouskouri, Münchner Freiheit, Juliane Werding, Michael Schanze, Caterina Valente, Mary Roos, Jürgen Drews, Gilbert Bécaud und vielen weiteren. Für Udo Jürgens schreibt er unter anderem "Ein ehrenwertes Haus", "Griechischer Wein" und "Ich war noch niemals in New York". Die Ideen für seine Texte recherchiert er im Alltag. Er liest viel, läuft wach und aufmerksam durch die Welt, fährt viel S-Bahn.

Kunze geht es darum, ein Zeitgefühl zu treffen. "Wenn man es schafft, das auszudrücken, was viele Menschen gerne sagen würden, dann hat man einen Hit," sagt Kunze. "Ich hatte schon immer einen Drang, Geschichten erzählen zu wollen, das bloße Ausdrücken von Gefühlen ist nicht mein Ding." Genauso wenig wie Müßiggang. Noch heute sitzt Kunze von 10 bis 18 Uhr am Schreibtisch. Würde er dort nicht sitzen, dann bekäme er keine Einfälle, glaubt er: "Das ist wie ein Jäger, der vor dem Fuchsloch lauert, bis die Beute endlich rauskommt. Würde der Jäger dort nicht warten, könnte er den Fuchs nie erwischen."

Die Inspiration zu "Ich war noch niemals in New York" kam ihm, als er eine Zeitungsmeldung las, dass in Deutschland immer mehr Männer spurlos verschwinden, quasi nicht mehr zurückkehren vom Zigarettenholen. Sein Freund Udo war sofort angetan von der Lied-Idee. "Wir waren immer ein gutes Gespann", sagt Kunze. Einige seiner Weggefährten sind inzwischen gestorben, sie leben weiter in gerahmten Fotos in Kunzes Villa. Eines zeigt Jürgens und Kunze tanzend auf einem Tisch. Daneben ein Bild mit Andy Warhol, der dem deutschen Musiktalent ein Bild malte.

An die 70er erinnert sich Kunze sehr gerne: "Es gab eine Leichtigkeit des Lebens, die heute nicht mehr vorstellbar scheint." Niemand habe Existenzangst gehabt, die größtmögliche Freiheit auf allen Ebenen (sowohl sexuell als auch ökonomisch) spielte Kreativen in die Karten. Also wagt Kunze etwas geradezu Freches: "Wir haben den Amerikanern Coca-Cola verkauft." Will heißen: Er schreibt von München aus einen Nummer-eins-Hit für die USA. "Fly, Robin, Fly", für den sich Kunze und sein Komponist Sylvester Levay die Fantasie-Gruppe Silver Convention ausdachten, läuft damals in den USA nahezu alle zehn Minuten im Radio.

Der "Munich Sound" wird zum Synonym für Erfolgsgarantie. Der "Spiegel" schreibt seinerzeit über die ungewöhnliche Karriere eines deutschen Liedertexters: Kunze wolle "weder Musiker-Ehrgeiz noch ein beschränktes Szene-Publikum im Lokaldunst zufriedenstellen", ihm gehe es "um Dollars und den harten Hit." Und? Traf das zu? "Ich wollte Hits schreiben, natürlich", sagt Kunze, "aber die Dollars sind doch total unerheblich verglichen mit diesem unbeschreiblichen Glücksgefühl, es in den USA geschafft zu haben. Amerika war der Traum für mich." Gold statt Geld.

  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

3

Sonntag, 1. November 2015, 19:12

"An die Preisverleihung erinnere ich mich gar nicht so gerne zurück"

1976 erhält Kunze als erster Deutscher den Grammy für R&B-Music. Der Preis steht heute in Hamburg in einem Regal mit vielen anderen Preisen wie dem "Echo" oder dem "Mann des Jahres". Wenn Kunze ihn in die Hand nimmt, dann glitzert es in seinen Augen jedoch nicht so wie in seinem Keller: "An die Preisverleihung erinnere ich mich gar nicht so gerne zurück, Sylvester und ich haben uns nicht wohlgefühlt." Zwei Weiße aus Deutschland räumen den Grammy für R&B ab, es muss wie ein Affront gewirkt haben. Kunzes Karriere jedoch dient der Grammy als endgültiger Turboantrieb: Noch mehr Stars (Julio Iglesias, Herbie Mann, Sister Sledge), noch mehr verkaufte Platten, noch mehr Aufträge.

Kunze zieht mit Roswitha und ihrem gemeinsamen Sohn in ein Appartement an der Upper East Side von New York, das die Familie heute noch besitzt. Blöd nur: Von seinen Hits bekommt Kunze nichts mit. Er sieht nicht, wie die Leute in den Clubs zu ihnen tanzen und feiern, denn der Liederschreiber und Produzent hat keine Freizeit mehr. "Eine einsame Arbeit", sagt Kunze. "Ich war Tag und Nacht im Studio." Es sei nur noch darum gegangen, das nächste Album rauszuhauen, den Leuten zu geben, was sie verlangen. Für seine eigentliche Arbeit, das Liederschreiben, muss sich der Songwriter manchmal in eine Besenkammer im Studio zurückziehen, um Ruhe zu haben. Kunze wollte nie Produzent werden, er wollte immer nur Geschichten erzählen, also zieht er die Notbremse. Kündigt über Nacht alle Verträge und erklärt, keine Schallplatten mehr produzieren zu wollen.

Er klinkt sich aus und schreibt eine juristische Dissertation, für die er ein rechtshistorisches Thema gewählt hat: "Der Prozess Pappenheimer" handelt von einem Hexenprozess aus dem Jahre 1600, und Kunze zeigt darin die Fragwürdigkeit scheinbar rechtmäßiger Positionen auf. Natürlich erhält der Verfasser ein "summa cum laude". Muss seltsam sein, wenn einem immer alles gelingt, aber für Kunze stellt es nur "ganz normale Arbeit" dar.

Auch sein Roman "Straße ins Feuer" wird ein Bestseller. Als nächstes will er ein Buch über Rudolf von Jhering schreiben, einen Rechtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts. "An der Geschichte interessiert mich immer nur der Mensch", sagt Kunze. Was ihn antreibt, welche Wirkungen seine Taten haben. "Wenn jemand Courage zeigt und etwas Neues wagt, dann bin ich fasziniert."

Vor diesem Hintergrund entstand das Projekt "Luther". Zusammen mit dem Produzenten Dieter Falk und der Stiftung Creative Kirche hat Michael Kunze ein Pop-Oratorium geschaffen (im Unterschied zu einem Musical handelt es sich hierbei um eine Mischung aus Konzert und Bühnenstück), das zum 500. Jahrestag der Reformation 2017 durch Deutschland touren wird. Seine Uraufführung hat es allerdings schon an diesem Wochenende in Dortmund.

Michael Kunze scheint bislang kaum aufgeregt, seine Premieren kann er längst nicht mehr zählen. Man merkt ihm nur an, dass die Person Luther es ihm angetan hat. Dabei gehört Kunze nicht mal der Kirche an: "Luther war ein Störenfried, aber unsere Gesellschaft braucht solche Störenfriede. Wir neigen dazu, uns der Mehrheitsmeinung anzupassen, aber Luther hat uns beigebracht, selber zu denken, notfalls gegen alle Widerstände."

Jedes Bühnenstück wird bis ins kleinste Detail vom Story-Architekten geplant

Als Texter verehrt er den Mönch auch dafür, dass er die deutsche Sprache so geprägt hat. Ohne ihn gäbe es viele Worte gar nicht. Doch der Reformator hatte auch seine Schattenseiten. "Jeder Mensch hat irgendwas falsch gemacht in seinem Leben – wir sollten ihn aber danach beurteilen, was er richtig gemacht hat," findet Kunze.

Man fragt sich, ob der Librettist selbst je einen Fehler begangen hat, höchstens mal bei Rot über die Ampel wahrscheinlich. Wie er so in seinem Arbeitszimmer steht und anhand zweier großer Flipcharts den Aufbau seiner Stücke erklärt, das hat schon etwas Virtuoses. Man versteht nun auch, warum sich Michael Kunze als Story-Architekt bezeichnet. Die drei Akte, die Dramaturgie, die Dialoge – alles bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Gold entsteht nicht zufällig.

Kunzes Büro befindet sich anders als seine Goldene Schallplatten-Sammlung nicht ganz unten, sondern ganz oben im Haus. Großer Raum, blauer Teppich, ein Kamin in der Mitte des Raumes, vor dem sich der nette Hund niederlässt. Über dem Klavier hängen Originalbriefe von Stefan Zweig, Thomas Mann und Oscar Hammerstein. Von seinem großen Holzschreibtisch aus blickt Michael Kunze auf ein gerahmtes Autogramm von Elvis Presley, auf Fotos seiner Eltern und eines von Abraham Lincoln: "Ihn verehre ich. Das war ein guter Mensch, findet man selten unter Politikern."

Erst oben vom Büro aus hat man einen Überblick über den riesigen Garten. Hätte man selbst einen solchen Rasen, würde man den ganzen Tag spazierengehen oder sich überlegen, doch noch mit dem Golfen zu beginnen. Ein Springbrunnen plätschert. Kein Wunder, dass Kunze und seine Frau 2003 nach Hamburg gezogen sind. Hier lässt sich besser entspannen als in jedem Kurort. Aber nein! Protest vom Fleißigen, von dem, der niemals Urlaub macht, weil seine Arbeit doch sein Hobby ist. "Ich bin gerade deshalb nach Hamburg gezogen, weil ich hier besser arbeiten kann. München war mir zu gemütlich geworden," sagt Kunze.

Bei einem beruflichen Termin in Hamburg hatte er im Hamburger Abendblatt eine Anzeige für das Haus hier entdeckt. Eigentlich wollte er sich verschiedene Objekte angucken, aber als Roswitha die Villa in Poppenbüttel zum ersten Mal betrat, sagte sie gleich: "Die nehmen wir." Direkt zum Makler. "Das war es dann mit dem Verhandeln", sagt Kunze und lacht. Die Entscheidung hat er nie bereut. Das Haus sei mit guten Geistern gesegnet, und an das Hamburger Wetter habe er sich inzwischen auch gewöhnt.

Verwunderlich und ein wenig provinziell findet er nur, dass die Medien hier immer von der schönsten Stadt der Welt sprächen: "Hamburg hätte es nicht nötig, sich zu vergleichen, und so etwas wie die schönste Stadt der Welt, das gibt es einfach nicht." Immerhin gilt Hamburg als die deutsche Musicalhauptstadt, und ihr Einwohner Kunze als der Erschaffer einer neuen europäischen Form des populären Musiktheaters, dem Drama-Musical. Insofern passen die beiden gut zusammen.



  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

4

Sonntag, 1. November 2015, 19:12

Kunze sieht sich als Ghostwriter, der anderen eine Stimme verleiht

Zum Musical gekommen ist Kunze 1979 durch einen Anruf von Andrew Lloyd Webber: Ob er sich vorstellen könnte, Evita für den deutschen Markt zu übersetzen? Klar, kein Problem. Kunze schreibt das Stück so, dass es fast besser klingt als das Original, startet, ehe er sich's versieht, eine neue Karriere als gefragter Musical-Übersetzer. "Cats", "Phantom der Oper", "Der König der Löwen", "Mamma Mia!" – die Liste seiner deutschen Versionen ist zu lang, um sie hier abzudrucken.

Aber auf Dauer ist es ihm nicht genug, Werke von anderen zu adaptieren. Also wagt er sich an eigene Stücke. 1992 hat sein Musical "Elisabeth" in Wien Premiere. Kunze erzählt darin die Geschichte einer zu weit getriebenen Emanzipation. Das Stück hätte total in die Hose gehen können, weil es nichts mit den gängigen Sissi-Klischees zu tun hat, aber das Publikum ist begeistert. Acht Jahre lang läuft "Elisabeth" vor ausgebuchtem Haus; es wird verkauft nach Japan, Ungarn, Schweden, Holland, Deutschland, Finnland, Belgien und die Schweiz. Mittlerweile ist Kunzes erstes eigenes Musical mit mehr als neun Millionen Zuschauern die erfolgreichste Produktion aus dem deutschsprachigen Raum.

Anschließend macht sich Michael Kunze an "Tanz der Vampire" (1997). Es folgen "Mozart" (1999), "Rebecca", und "Marie Antoinette" (beide 2006). Dank der Musicals wird der Hamburger vor allem in Asien populär. Auf einer Weltkarte in Kunzes Büro sind die Städte markiert, in denen seine Werke laufen. Neben Europa und New York stecken viele rote Nadeln in Japan, Südkorea und China. Anders als hier in Deutschland erkennen die Menschen ihn dort manchmal auf der Straße, fragen nach Autogrammen. "Aber eigentlich bin ich niemand, der gern vorn steht," sagt Kunze. Es hat ihn nie gestört, dass das Publikum immer den Sänger mit dem Lied identifiziert hat: "Der Texter wird nicht wahrgenommen, aber das ist in Ordnung, ich habe gern meine Ruhe."

Kunze sieht sich als Ghostwriter, der anderen Menschen seine Stimme verleiht. Auf Schlager-Ebene hat er das nun schon lange nicht mehr getan. Es gebe keine Interpreten mehr, die für ihn in Frage kommen, erklärt Kunze. Dabei feiert der Schlager gerade mit Helene Fischer doch so große Erfolge. "Das liegt daran, dass sie eine unglaubliche Begabung besitzt, eine Ausnahme. Helene Fischer kommt übrigens vom Musical, deshalb kann sie so viel," sagt Kunze, der sich weiterhin auf seine Arbeit als Autor historischer Bücher und natürlich auf die als Librettist konzentrieren will: "Musicals erreichen manchmal mehr in puncto Völkerverständigung als viele Diplomaten." Beim Theater verfließen die Ländergrenzen, die Menschen, die am Theater arbeiten, seien überall auf der Welt ähnlich, erzählt Kunze. Die gleichen Träume, die gleichen Ängste, die gleichen Witze, die gleichen Vorlieben und Hoffnungen. Kunze gefällt das sehr.

Bei "Luther" singen 3000 Menschen gemeinsam Kunzes Texte

Der 72-Jährige fliegt immer noch viel hin und her, um bei den Premieren seiner Stücke dabei zu sein. Er genießt den Kontakt zu den Menschen – bei all der einsamen Zeit hinter seinem Schreibtisch. Bei den Proben zu "Luther" im Ruhrgebiet war Kunze natürlich auch dabei. 3000 Sänger gemeinsam auf der Bühne, sie alle singen seine Texte, ein großartiges Gemeinschaftserlebnis. Doch der, der so viele Menschen zum Singen bringt, hält sich im Hintergrund. Er will keinen Applaus, er will lieber der Nachbar mit dem netten Hund sein.

Zum Abschluss zeigt Michael Kunze dann noch seinen Lieblingsort im Haus. Man möchte meinen, der Raum mit der goldenen Sammlung müsste schon das Außergewöhnlichste gewesen sein, aber dahinter geht das Untergeschoss weiter, und plötzlich öffnet sich ein richtiges Theater. Mit großer Bühne, rotem Samtvorhang, einem Regieraum, einem ausgeklügelten Lichtkonzept, Ledersesseln und leuchtenden Stufen. Wenn schon, denn schon.

Hier finden die ersten Lesungen und Screenings seiner neuen Werke statt, hier lässt Kunze seine eigene Arbeit auf Herz und Nieren prüfen. "Längen, Schwächen und Unlogik eines Stückes erkennt man erst, wenn man es auf der Bühne sieht," sagt Kunze. Er gibt nichts heraus, das nicht den Status "perfekt" erreicht hat. Wer Gold will, der muss im Keller bestehen.




  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

5

Dienstag, 19. Januar 2016, 20:41

"Musiker tanzen ja nicht"

Ein neues Interview mit Michael Kunze:


"Musiker tanzen ja nicht"

Michael Kunze hat Tausende Liedtexte geschrieben, darunter etliche Klassiker wie ›Griechischer Wein‹. Hier erzählt er, warum das Lied eigentlich ›Sonja, wach auf‹ heißen sollte – und weshalb er seit Langem nur noch Musicals schreibt.



Michael Kunze hat die deutsche Popkultur der vergangenen vierzig Jahre durch Tausende von Liedtexten geprägt. Kunze wurde 1943 in Prag geboren und wuchs am Rand des Schwarzwalds, in Stuttgart und in München auf. Seine Mutter war Schauspielerin, sein Vater Journalist. Während seines Jura-Studiums in München begann Kunze, Songtexte zu schreiben, ab Ende der Sechzigerjahre war er auch Musikproduzent. Er arbeitete mit Peter Maffay, Jürgen Drews, Peter Alexander, Caterina Valente und der Münchener Freiheit, vor allem aber mit Udo Jürgens, für den er die Texte zu »Griechischer Wein«, »Ein ehrenwertes Haus« und »Ich war noch niemals in New York« schrieb. Als Disco-Produzent und -Texter war Kunze mit Silver Convention erfolgreich (»Fly, Robin, Fly«), bevor er sich aus dem Popgeschäft zurückzog, einen Doktortitel in -Jura erwarb und mehrere rechtshistorische Bücher schrieb. Er übertrug Musicals ins Deutsche und schrieb mit dem Komponisten Sylvester Levay »Mozart!, »Elisabeth«, »Marie Antoinette« und andere, wie er sagt, »Musical-Dramen«. Mit seiner Frau Roswitha lebt er in Hamburg. Kunzes Pop-Oratorium Luther wird 2017 durch Deutschland touren - Chöre, die bei den Aufführungen mitwirken möchten, können sich auf luther-oratorium.de anmelden.

SZ-Magazin: Hören Sie manchmal ein Stück im Radio und denken, ja, gar nicht schlecht, und dann merken Sie: Oh, das ist von mir?
Michael Kunze: Das passiert mir tatsächlich. Mit dem wichtigen Unterschied: Meistens erkenne nicht ich das Stück, sondern meine Frau Roswitha. Ich habe doch vieles vergessen. Es waren einfach zu viele Lieder.

Wie viele?
Drei- bis viertausend werden es schon gewesen sein.

Genauer können Sie es nicht sagen?
An die großen Hits erinnere ich mich natürlich, aber es gab ja unzählige Titel, die keine Hits geworden sind und trotzdem mal im Radio laufen. Da kommen mir dann gewisse Wendungen bekannt vor, aber es gab so viele Leute, die das nachgemacht haben, dass ich nicht mehr weiß: Habe ich das selber geschrieben, oder hat das jemand abgekupfert?

Zu Ihren bekanntesten Liedern gehören Griechischer Wein von Udo Jürgens, Die kleine Kneipe von Peter Alexander und Ein Bett im Kornfeld von Jürgen Drews. Warum sind Ihnen diese Riesenerfolge auf Ihrer Internetseite nur drei Zeilen wert?
Ich halte sie für keine so besondere Leistung. Um Liedertexte zu schreiben, muss man fleißig sein und ein gewisses Einfühlungsvermögen haben. Talent setze ich voraus. Aber man muss kein Genie sein.

Nach dem Tod von Udo Jürgens sagten Sie, es gebe heute niemanden mehr, der solche Texte noch singen könne wie die, die Sie für ihn geschrieben haben.
Zumindest niemanden, der einen Fremdtexter braucht. Es gibt natürlich Interpreten, die ihre eigenen Texte authentisch rüberbringen. Aber es ist viel schwieriger, einen fremden Text zu singen und ihn als authentisch zu verkaufen. Das ist mit Udo so gut gegangen, weil wir uns sehr gut verstanden haben und eine sehr produktive, kreative Freundschaft hatten.

Wie ist diese Freundschaft entstanden?
Zusammengebracht hat uns Hans Beierlein, damals der Topmanager in der Schlagerbranche. Ich war ganz am Anfang, hatte gerade meine ersten Hits mit Peter Maffay, und Beierlein hat immer wieder Texter für Udo gesucht. Also bin ich 1971 nach Kitzbühel gefahren, wo Udo damals wohnte. Wir saßen zusammen am Klavier, er hat mich gefragt: Hast du Ideen? Ich habe ihm ein paar genannt.

Wissen Sie noch, welche?
Der Teufel hat den Schnaps gemacht ist gleich bei diesem ersten Treffen entstanden.

Angeregt durch die Arbeitsbedingungen vor Ort?
Nein, wir mussten nicht trinken, um Spaß an der Arbeit zu haben. Ich dachte einfach, der Udo braucht so etwas Freches, was aber nicht anzüglich ist.

Zusammen mit Udo Jürgens haben Sie viele Lieder geschrieben, die den gesellschaftlichen Wandel begleitet haben, von Ein ehrenwertes Haus über Griechischer Wein bis hin zu Songs über Atomkriegsangst und Umweltzerstörung.
Wir haben eben sehr bewusst wahrgenommen, was um uns herum geschah. Udo war nicht nur ein großartiger, übrigens unterschätzter Komponist, den man sofort an drei Akkorden erkennt, er war auch sehr intelligent, was nicht alle Schlagersänger sind. Letztlich hat die Intelligenz ihm auch diese lange Karriere beschert.

Haben Sie also zusammengesessen und gesagt, man müsste mal was über Gastarbeiter machen, und daraus wurde dann Griechischer Wein?
In diesem Fall fing es damit an, dass Udo mir eine Kassette gab und sagte: »Hör da mal rein, da brauche ich einen Text. Die Melodie klingt so griechisch, aber bitte bloß nichts Griechisches mit Segeln vor Athen oder so.« Die Nummer war fix und fertig, aber er hat auf der Aufnahme nur Lalala gesungen. Ich bin heimgegangen, habe eine Nacht an einem Text gearbeitet – und der war scheiße.

Wie hieß Griechischer Wein in der ersten Text-Version?
Sonja, wach auf. Es war eine Liebesgeschichte, die erzählt, wie einer morgens neben einer Frau aufwacht, die er eigentlich nicht kennt. Das hatte irgendwie schon mit Udo zu tun, aber dann auch wieder nicht: Er wachte selten auf mit einer Frau, er schickte die immer vorher heim. Er sagte jedenfalls Nein zu dem Text, und ich meinte: »Udo, ich habe noch eine andere Idee, aber erschlag mich nicht, es hat doch was mit Griechenland zu tun. Aber es ist kein Urlaubslied.« – »Na, Gott sei Dank«, sagte er. Als ich am nächsten Tag mit dem neuen Text wiederkam, war er begeistert.

Bräuchte es heute wieder ein solches Lied über die Flüchtlinge in Deutschland?
Ich garantiere Ihnen, da kommt was. Da stürzen sich bestimmt drei oder vier Texter drauf.

Meinen Sie wirklich? Mein Eindruck ist, dass die Texte Ihrer heutigen Kollegen meistens sehr ichbezogen sind.
Ja, das sehe ich auch so. Wir leben in einer Ära des Egoismus. Bestenfalls handelt der Text noch von einer Zweierbeziehung, aber es gibt heute in erfolgreichen Popsongs nur noch ganz selten ein Bewusstsein für die Gesellschaft. Allerdings ist das Flüchtlingsthema so groß, da muss einfach etwas kommen.

Stimmt es, dass Ihre eigene Karriere mit Protestsongs begann?
Mit ein paar Mitschülern in der Klenze-Oberrealschule in München hatte ich Anfang der Sechziger eine Folkband. Unsere Vorbilder waren Bob Dylan und das Kingston Trio, und angeregt von Dylan begann ich, eigene Songs zu schreiben.

Was waren das für Lieder? Wissen Sie noch ein paar Titel?
Die waren alle auf Deutsch, so im Stil von Sag mir, wo die Blumen sind. Sie hießen Die Felder von Verdun, Die Hand, die unterschrieb oder Ich frage euch. Das waren Antikriegslieder: »Die Felder von Verdun, die tragen keine Ähren, dort blüht nur roter Mohn«.

Und mit diesen Liedern schafften Sie dann gleich den Durchbruch?
Mein großes Glück war, dass Ralph Siegel von unserer Folkband Wind bekam. Freunde hatten ihm von uns erzählt, also rief er mich eines Tages an, ich kannte ihn gar nicht. Sein Vater war ein berühmter Musikverleger und hatte ihm ein Praktikum bei einem Musikverlag in Nashville vermittelt. Als Ralph zurückkam, wollte er sich beweisen und selbst etwas auf die Beine stellen. Meine Texte fand er gut, aber dass die Begleitung meistens nur aus Gitarre und Mundharmonika bestand, gefiel ihm weniger. Also hat er gesagt: »Du, ich mache da mal andere Musik drauf.« In Hamburg hat er eine ambitionierte Folkband gefunden, die City Preachers, und einen Vertrag klargemacht. Das war das erste Mal, dass meine Lieder auf Platte erschienen sind. Ich hatte sie bis dahin nur Freunden vorgesungen und wäre mit Sicherheit ohne Ralph Siegel nicht in die Musikbranche reingekommen.


(1/3)

  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

6

Dienstag, 19. Januar 2016, 20:42

War die Idee, Ihre Lieder selbst zu singen, damit abgehakt?
Das war von Anfang an eine Notlösung. Ich habe schnell gemerkt, dass ich hinter den Kulissen besser aufgehoben bin.

Als Produzent ist Ihnen 1975 ein ungewöhnlicher Erfolg gelungen: Mit der Gruppe Silver Convention und dem Song Fly, Robin, Fly schafften Sie einen Nummer-eins-Hit in den USA.
Ja, wobei es die Gruppe am Anfang gar nicht gab. Erst, als der Song ein Hit wurde und Silver Convention in England im Fernsehen auftreten sollten, haben wir die Sängerinnen zusammengesucht, die dann die Band verkörpert haben.

Wie ist dieser Hit entstanden?
Es fing damit an, dass ich nicht tanze.

Wieso das?
Ich war damals ein Workaholic und eigentlich rund um die Uhr im Studio. Aber man musste ja auch mal durchschnaufen, also ging ich mit Sylvester Levay, meinem Arrangeur und Pianisten, mit dem ich heute zusammen Musicals schreibe, manchmal vom Studio aus in die Disco – es gab damals in München ja keine Kneipen, die nachts noch offen hatten. Wir standen dann immer an der Bar und sahen den Verrückten zu, die getanzt haben. Musiker tanzen ja nicht.

Nicht?
Ich kenne keinen Studiomusiker, der tanzt. Wir Musiker begreifen nicht, warum man sich zu Musik verrenken sollte. Wir trinken also unser Bierchen, und ich sage zu Sylvester: »Weißt du was? Ich kann dir genau sagen, warum die Leute bei dem einen Lied tanzen und bei dem anderen nicht. Die Leute reagieren, wenn eine satte rhythmische Bassphrase kommt.« Eine Woche später kam Sylvester mit genau so einer Bassphrase ins Studio. Hinzu kam, dass es uns gelang, für das Stück einen eigenen Sound zu kreieren: Wir hatten nicht wie die Amerikaner diese tollen Bläsersätze, wir hatten in München aber sehr gute Streicher. Und da habe ich Sylvester vorgeschlagen, für die Streicher ein Arrangement zu schreiben, wie man es eigentlich für Bläser schreiben würde. Ralph Siegel hat das dann in Cannes auf der Musikmesse in 16 Länder verkauft, darunter die USA, kurz bevor es weltweit richtig losging mit Disco.

War es der Höhepunkt Ihrer Karriere, als Sie mit Silver Convention als erster Deutscher in den USA einen Grammy für ein Rhythm-&-Blues-Album bekommen haben?
Im Gegenteil, das war sehr bitter. Ich habe die schwarze Musik ja geliebt, vor allem Motown. Bei der Grammy-Verleihung sitzen Sylvester und ich in einer Reihe mit unseren ganzen Helden, allen voran Stevie Wonder. Und dann werden wir sogar auf die Bühne gerufen, als Gewinner, eine Riesenüberraschung. Wir sind total happy, weil Aretha Franklin uns den Preis überreicht. Ein Idol! Aber sie sagt leise: »Fuck you!«

Im Wortlaut?
Ja, sie war stinksauer, weil wir in einer Kategorie gewonnen hatten, in der eigentlich nur Schwarze nominiert wurden. Wir haben also den schwarzen Musikern, die damals bei den Grammys eh unterrepräsentiert waren, richtig was weggenommen. Das haben wir in diesem Moment aber nicht verstanden, wir waren einfach zwei Typen aus Deutschland, die mit großen Augen durch diese Veranstaltung liefen wie Kinder. Ich finde es heute immer noch nicht richtig, dass Aretha Franklin uns beschimpft hat, verstehe aber wenigstens, warum sie so wütend war.

Die Disco-Ära wird heute oft als eine Zeit der Befreiung beschrieben – es heißt, verschiedene Bevölkerungsgruppen und soziale Schichten hätten alles, was sie trennt, in der Disco weggetanzt. Haben Sie das auch so empfunden?
Für mich war diese Zeit eine einzige Schufterei. Nach dem ersten großen Erfolg mit Silver Convention mussten wir nachlegen. Man ackert also wie verrückt im Studio, da ruft die Plattenfirma an und sagt: Du bist auf Platz sieben, letztes Mal noch auf Platz eins. Sprich: Du hast versagt. Was ich eine Weile lang gern gemacht habe, nämlich meine Lieder nicht nur zu schreiben, sondern im Studio mit verschiedenen Sängern selbst zu produzieren, verkam zu reiner Fließbandarbeit. Ich habe die Songs eigentlich nur noch hingerotzt. Das war schließlich so frustrierend, dass ich nach Neujahr 1980 von einem Tag auf den anderen alle Verträge aufgelöst habe.

Und dann?
Ich hatte ursprünglich Jura studiert und bin auch während der ganzen Disco-Jahre einmal die Woche zu meinem Professor ins Seminar für Rechtsgeschichte gegangen. Am Ende meines Studiums war ich auf Gerichtsakten aus dem frühen 17. Jahrhundert gestoßen, es ging um eine Familie von Landfahrern, die nichts verbrochen hatte und durch puren Zufall in die Fänge einer Justiz geriet, die vor dem Hintergrund des Hexenwahns an Landfahrern ein Exempel statuieren wollte. Unter Folter wurden diesen Menschen – einem Ehepaar und seinen drei Söhnen – Geständnisse der unglaublichsten Taten abgepresst, sodass sie schließlich alle auf dem Scheiterhaufen landeten. Ich habe meine Doktorarbeit über diesen Fall geschrieben und daraus dann das Sachbuch Straße ins Feuer gemacht.

Sie sind wahrscheinlich der einzige Disco-Produzent, dessen Doktorarbeit mit »summa cum laude« ausgezeichnet wurde. Bekommt man da Alleskönnerfantasien und hält sich für den Größten?
Erfolg macht bescheiden. Man muss beweisen, dass man ihn verdient hat. Meine Lebensphilosophie ist, dass ein Mensch viele Dinge gut machen kann, wenn er sich bemüht. Es kommt darauf an, eine Sache gründlich zu machen, mit dem nötigen Ernst. Auch die Unterhaltungsmusik habe ich immer mit großem Ernst gemacht. Was alles verbindet, ist, dass ich Geschichten erzähle. Die Geschichte dieser Landfahrer, die hingerichtet werden, um im Sinne einer obrigkeitshörigen Justiz ein Klima von Angst und Schrecken zu verbreiten, hat mich zwölf Jahre nicht losgelassen, über die ganzen Udo- und Disco-Jahre. Ich konnte die aber nicht in einem dreiminütigen Lied erzählen, dafür brauchte ich ein Buch. Im Moment arbeite ich an einem neuen Buch über das Leben eines revolutionären Denkers im 19. Jahrhundert, eines Juristen ohne Scheu-klappen.

War der Wunsch, längere Geschichten zu erzählen, auch der Grund für Ihre Hinwendung zum Musical?
Früher waren Musicals für mich das Altmodischste, was es gibt. Bis zu Jesus Christ Superstar von Andrew Lloyd Webber: Wenn man mit Popmusik solche Geschichten erzählen kann, dachte ich, dann will ich das auch tun. Ich war damals sehr erfolgreich als Texter, Webber war noch relativ am Anfang. Er rief mich an und fragte, ob ich Evita ins Deutsche übertragen könne. Dann habe ich noch andere Stücke von Andrew Lloyd Webber übersetzt, neben Evita zum Beispiel Das Phantom der Oper und Cats, und seit Anfang der Neunzigerjahre habe ich mit meinem Partner Sylvester Levay mehrere eigene Musiktheaterstücke geschrieben. Bis heute gibt es etliches, was mir am Musical besser gefällt als an meiner vorherigen Arbeit.

Was denn?
Im Studio hatte ich sehr oft mit nicht besonders begabten Sängern zu tun, mit denen wir durch wahnsinnig mühsame Arbeit gute Aufnahmen zustandegebracht haben. Dann wurde ein Hit daraus, und die Leute waren die großen Stars. Beim Musical ist es genau umgekehrt: Da trifft man auf hochbegabte, fleißige und dabei ganz bescheidene Leute.


(2/3)

  • »Udofan« ist der Autor dieses Themas

Beiträge: 516

Beruf: Administrator / System Account udofan.com

  • Private Nachricht senden

7

Dienstag, 19. Januar 2016, 20:45

Sie sind auch öffentlich fürs Musical eingetreten. In Zeitungsarchiven findet man etliche alte Leserbriefe von Ihnen an Journalisten, die sich über Musicals lustig gemacht hatten.
Hintergrund war immer das alte Problem mit der Trennung von E und U, Ernst und Unterhaltung. Wenn man in Deutschland ernste Themen mit unterhaltsamer Musik mischt, gibt es Misstrauen und Ablehnung. Damals hat es mich geärgert, inzwischen ist mir das egal. Nachdem ich das Musical weltweit kennengelernt habe, erscheint es mir völlig unwichtig, was die deutschen Feuilletonisten davon halten. Mein letzter Leserbrief ist also schon lange her.

Viele Ihrer eigenen Musicals handeln von historischen Figuren wie Mozart, Marie Antoinette, Kaiserin Elisabeth. Zuletzt haben Sie ein Pop-Oratorium über Martin Luther geschrieben, das am 31. Oktober mit einem Chor aus 3000 Sängerinnen und Sängern in Dortmund uraufgeführt wurde. Gibt es etwas Verbindendes zwischen diesen Figuren?
Eigentlich sind es immer Geschichten vom Erwachsenwerden. Es geht um Menschen, die sich selber finden, die aus Unmündigkeit zu Mündigkeit finden, von Abhängigkeit in Freiheit. Dieser Lernprozess vom Gesteuertwerden zum Sichselbersteuern interessiert mich. Speziell an Luther fasziniert mich, dass er gegen unüberwindliche Autoritäten und im Angesicht der Drohung, lebendig verbrannt zu werden, an seiner Überzeugung festgehalten hat. Mein Thema für Luther ist: selber denken. Das ist etwas, was die Leute heute zunehmend verlernen.

Ihrer Frau Roswitha sind Sie mit 17 Jahren im Bus begegnet, fünf Jahre später haben Sie geheiratet. Heute leben und arbeiten Sie immer noch zusammen. Wie geht das?
Ich glaube, wir haben eine symbiotische Beziehung. Viele Texte wären ohne sie nicht entstanden. Ganz sicher nicht die Lieder, die ich für Gitte geschrieben habe. Das ist sozusagen die Stimme meiner Frau, die man durch Gitte hört. Unser Glück war auch, dass meine Frau nie voll schwärmerischer Bewunderung gewesen ist für das, was ich mache, sondern immer eine kritische Position eingenommen hat. Außerdem hat sie eine viel bessere Menschenkenntnis als ich. Die Fehler, die ich gemacht habe, habe ich nur gemacht, weil ich nicht auf sie gehört habe.

Erinnern Sie sich, wer von Ihnen beiden Peter Maffay 1967 in einem Münchner Folkclub entdeckt hat?
Das war Roswitha. Ich war auf der Suche nach einem jungen Sänger, für den ich schreiben kann, und wir hatten uns aufgeteilt. Ich war in Schwabing in einem anderen Lokal, sie kam im Lauf des Abends rüber und hat gesagt: »Du, da ist einer, der hat gleich noch einmal einen Auftritt, der spielt zwar nur Gitarre mit dieser Sängerin, und er singt da nur die zweite Stimme, aber: Der ist gut.«

Und dann sind Sie hingegangen und haben zum ersten Mal den Satz gesagt, »Ich möchte eine Platte mit Ihnen machen«?
Nein, meine Frau ging zu Peter Maffay in die Garderobe und sagte: »Mein Mann möchte Sie ins Studio einladen.« Ich wäre dafür viel zu schüchtern gewesen.


Quelle: Süddeutsche Zeitung Magazin




(3/3)

Ähnliche Themen